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Wenn ein Ausstellungsbesucher
erstmals den Gemälden, Objekten und Zeichnungen von Klaus
Kugler gegenübertritt, so kommt es meist zu einer sehr intensiven,
geradezu hautnahen Annäherung an diese Bilder. Den Betrachtern
wurde hierfür schon einmal der Gebrauch einer Lupe nahegelegt,
um alle Feinheiten wahrzunehmen. Seine Bilder laden dazu ein, in
utopisch-phantastische Bildräume einzutreten, sich darin zu
ergehen, ja sich in ihnen labyrinthisch zu verlieren. Dem abtastenden
Auge des Beschauers sind darin Wege eingerichtet, wie dies Paul
Klee einmal formuliert hat. Das entdeckerische Eintauchen in formen-
und figurenreiche Bilderwelten macht den besonderen Reiz, die Faszination
von Kuglers Arbeiten aus. |
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Mysterium-Ei-Land, 1989, 41 x 55 cm
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Grüne-Wald-Landschaft, 1991, 49 x 68 cm |
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Künstlerkollegen waren schon der Meinung, diese Bilder wirkten in ihrer
Art allzu geschlossen. In der Tat ist es nicht nur der Bilderrahmen, der sie
von ihrer Umgebung abgrenzt und eine Innen-Außen-Beziehung zum Betrachter
hin herstellt. Es sind weitere senkrecht -waagrechte Rahmungen in den Bildern
selbst angelegt: Allerlei Säulen- und Stelzenformen, Sockel, Mauern und
Gerüste. Hinzukommen Terrassen, grabenartige Einbrüche, Abtreppungen
und Rampen und nicht zuletzt zentralperspektivisehe Fluchtpunkte. Sie bilden
einen vielfach geschichteten und gegliederten Darstellungsraum, der in vielem
den Charakter einer Theaterbühne besitzt. Vor allem in den Kuglerschen Objekten
wird ein räumlich gestaffeltes Arrangement von Bildgegenständen in
der Art eines Guckkastanbildes präsentiert. Allerdings verbietet sich ein
allzuschneller Vergleich mit naiven Guckkastenbildern allein schon angesichts
der subtilen maltechnischen Meisterschaft des Künstlers. Auch sind der Entstehungsprozeß und
die Inhalte weit von jenen entfernt. |
Wenn bei Klaus Kugler am Ende eines bildnerischen Prozesses ein formal und inhaltlich
sehr geschlossenes, dichtes Ergebnis steht, so verläuft der Weg dorthin
recht offen und zunächst keineswegs zielgerichtet. Dies wird schon beim
Anlegen seiner Bilder sichtbar, bei dem er mit dem aleatorischen Prinzip des
Zufalls beginnt. In fast allen seinen Werken steht am Anfang - und als Grundlage
für weiteres Vorgehen - die Décalcomanie, ein spezielles Abziehverfahren,
das die Surrealisten entwickelt haben: Zähflüssige Farbe, mit einer
Glasplatte auf Papier oder Leinwand gedrückt und abgezogen oder auch mit
einer Walze zerquetscht, liefert den amorphen, noch unbestimmten Bildgrund.
In den aus solchen Quetschungen und Schleifspuren gewonnenen, teils knollig-schlierigen,
teils feinstporösen Zufallsstrukturen "kann man gewiß bizarre
Dinge finden", wie dies schon Leonardo da Vinci in seinem Traktat der
Malerei vermerkte: "Wenn Du sie sorgsam betrachtest, wirst Du einige wunderbare
Erfindungen machen. Von diesen mag dann der Genius des Malers vollen Besitz
ergreifen, um Kompositionen zu schaffen von Tier und Menschenschlachten, von
Landschaften und Ungeheuern, von Teufeln und anderen phantastischen Dingen..." |
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Einen solchen gestaltträchtigen Grund überzieht Kugler
mit einem haarfeinen senkrecht-waagrechten Koordinatennetz, das
die künftige Bildordnung vorbereiten soll. An dieser oder
jener Stelle setzt er mit dem Stift oder Pinsel an. Es entstehen
Verfestigungen und gestalthafte Ausdeutungen, von denen er selbst
sagt: "Als Inspiration reicht mir ein Klecks, irgendeine Farbschliere." Damit
beginnt ein Wechselspiel von "Imagination und Reflexion",
wie der Maler einmal eine seiner früheren Ausstellungen betitelte.
Beides beruht auf einem spezifischen bildnerischen Denken, das
sich nicht mit anschaulichen Formzusammenhängen begnügt,
sondern in die semantische Dimension vorstößt, Figuratives
sieht, Bedeutungen entdeckt und Inhalte findet. |
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Beim ordnenden
Parzellieren décalcomanischer Zufallsstrukturen
bieten sich insbesondere landschaftliche Formen an - Plattformen
und Schluchten, Berge, Höhlen, gewellte Ebenen. Diese räumlichen
Prospekte laden dazu ein, sie architektonisch zu überbauen
und auch mit Figuren zu bevölkern. Mit dem gezielten Einsetzen
verschiedenster Figuren baut sich aus den künstlich gewonnenen
Landschaftsräumen eine Szene auf. Durch wechselnde Aspekte,
Blickwinkel, Bildebenen können sich solche Einzelszenen zu
phantastischen Szenarien weiten.
An dieser Stelle ist nun einiges zu den Themen und Inhalten im Werk von Klaus
Kugler zu sagen. Es wird zwar stark vom Materialreiz der Oberflächen in
ihren vielfältigen Ausformungen bestimmt. Zugleich hat er aber in seiner
Erinnerung ein reiches Arsenal verschiedenster Gegenstände und Figuren
gespeichert, einen Fundus von inhaltlichen Versatzstücken aus unserer
gegenwärtigen Umwelt ebenso wie aus der Historie, und hier insbesondere
aus der Kunstgeschichte. Er hat sie als seinen bildnerischen Ideenschatz zusammengetragen
und auch ganz konkret in Reproduktionen, Zeitungsausschnitten, Fotografien
und Skizzen gesammelt. In der Form der Bricolage, einer Art intellektueller
Bastelei, bringt er diese Stücke aus seinem gedanklichen Fundus als "bonnes à penser",
als Figuren zum Denken, in seine Bilder ein. In seinen dreidimensionalen Objekten
sind sie sogar realiter einmontiert. Das französische Verb bricoler bedeutet
im übrigen nicht nur basteln, es bezeichnet auch das Zusammenstoßen
von Billardbällen. Damit läßt sich auch recht gut das plötzliche,
assoziative Aufeinanderprallen von Gedanken, ein blitzartiges Auftauchen einer
Bildidee kennzeichnen. |
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Ritter ohne Furcht + Kabel, 1992,
141 x 31 x 31 cm |
Ecce homo sapiens!, 1984, 40 x 33 cm |
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Dem Betrachter obliegt es nun, den Kuglerschen Denkfiguren nachzuspüren.
Aus dem überaus kunstvollen Gefüge von Zufallsformen und meist akribisch
genauen, gegenständlichen Figurationen entstehen Bilder, die neugierig machen,
auch wenn sie zunächst rätselhaft erscheinen mögen. Des Malers
Lust an der Bricolage wird auch in den mehrdeutigen Sprachspielen mancher Bildtitel
sichtbar, etwa in seinem "Mysterium-Ei-Land" (1989), einer "Grüne-Wald-Landschaft" (1991)
mit Grünewalds mahnender Johannesfigur, oder auch dem neuzeitlichen "Ritter
ohne Furcht + Kabel" (1992). |
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So stimmig und überzeugend diese Bilder als Ergebnis intensiver künstlerischer
Arbeit erscheinen, so sind sie doch aus einem spannungsreichen Wechselspiel von
zufälliger Wirrnis und vermessendem, gliedernden Ordnen entstanden. Nicht
ohne Grund hat Klaus Kugler einmal eine Ausstellung unter den Titel "Dialektische
Positionen" gestellt. Sein Streben nach Übereinstimmung aller Teile
unter sich und zu einem übergeordneten Ganzen entspricht Gedankengängen
der Renaissance. Nicht ohne Grund nannte er auch ein aus modernen Halbleiterplatten
entwickeltes Bild "Rinascimento" (1992). Es eröffnet Ausblicke
in eine von rationalem menschlichen Erfindungsgeist bestimmte, utopische Hightech-Landschaft,
in die sich die Renaissance-Figuren Piero della Francescas nahtlos einfügen. |
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Rinascimento, 1992, 26 x 36,5 cm |
Tobias-Landschaft Hommage à Adam Elsheimer) , 1991,
49,5 x 68 cm |
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Die Vorliebe für die Formenklarheit der Renaissance wie für Dynamik
und Formenfülle des Barock wird in vielen Bildzitaten und Anspielungen auf
Maler des 16. und 17. Jahrhunderts erkennbar. Da gibt es neben Verweisen auf
Leonardo ("Ecce homo sapiens!", 1984) und Grünewald Hommagen an
Hans Baldung Grien ("Der verhexte Stallknecht", 1989), Adam Elsheimer
("Tobias-Landschaft", 1991) oder Balthasar Neumann. Selbst ein "Besuch
beim Einsiedel" (1988) verweist auf Grimmelshausens jungen "Simplicius
Simplicissimus". |
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Vielleicht läßt sich die Vorliebe des Künstlers für eine
formen- und figurenpralle, detailbesessene Feinmalerei aus seiner Herkunft aus
dem Donauraum erklären. Er wurde 1942 im südmährischen Wostitz
geboren, und die entscheidenden Impulse für seine künstlerische Arbeit
suchte und fand er in Wien. Dieser südöstliche Kulturraum hat einst
die Donauschule mit Albrecht Altdorfer und Wolf Huber hervorgebracht, in neuerer
Zeit Alfred Kubin und nicht zuletzt den Phantastischen Realismus der Wiener Schule.
Merkwürdigerweise ist Klaus Kugler aber in keinen direkten Kontakt zu dortigen
Vertretern wie Ernst Fuchs, Arik Brauer oder Rudolf Hausner gekommen. Als er
1965 von der Stuttgarter zur Wiener Kunstakademie überwechselte, war Maximilian
Melcher sein Lehrer. Dieser förderte ihn vor allem als Zeichner und Radierer.
Die hervorragenden maltechnischen Kenntnisse und Fertigkeiten hat sich Kugler
erst später selbst angeeignet. Doch bot ihm die Donaumetropole mit dem Kunsthistorischen
Museum eine intensive Begegnung mit den figurenreichen Gemälden von Pieter
BruegheI d. Ä., insbesondere dem "Turmbau zu Babel", der den Altdorferschen "Wimmelbildem" wie
auch Kuglers phantastischen Architekturen verwandt erscheint.
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Der verhexte Stallknecht
(Hommaga à Hans Baldung Grien),
1989, 55 x 41,5 cm
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Besuch beim Einsiedel, 2008, 49 x 34 cm |
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Was Klaus Kugler inhaltlich von anderen Spielarten des Phantastischen
Realismus unterscheidet, ist neben dem gezielten Einsatz kunstgeschichtlicher
Bildzitate die betonte Einbeziehung der gegenwärtigen, vor
allem hochtechnisierten Welt. Mitte der 80er Jahre fand er in
ausgedienten kupfernen Halbleiterplatten der Elektronik-Industrie
ein der Decalcomanie adäquates bildnerisches Ausgangsmaterial
- in seiner Ähnlichkeit mit Radierplatten mußte es
ihn reizen. Auch hier ist in den Lötfäden und -punkten
verwirrende Fülle. Aber anders als in den auf natürliche
Weise im Abziehverfahren erzeugten Zufallsformen sind die Platinen
technische Abfallprodukte von höchster Rationalität.
Der vor allem in den neueren Bildern herbeigeführte, spannungsvolle
Gegensatz von Historie und Gegenwart, Natur- und Kulturformen,
das Nebeneinander von üppig wuchernder Wirrsal und labyrinthischer
Ratio erzeugt notwendigerweise Brüche und Abgründe.
Kugler überspielt sie oft durch optische Verrätselungen,
wechselnde Auf- und Untersichten und Horizonte, Vertauschung
von Innen und Außen, Oben und Unten, figurative Metamorphosen.
Menschen spielen in seinen Szenarien nur die Rolle von Spielfiguren
in höchst kunstvollen Denkspielen. Sie dienen weder als
dekorative Staffage, noch fungieren sie als romantische Stimmungsträger,
auch wenn in einem Bild Caspar David Friedrichs "Wanderer über
dem Nebelmeer" auftaucht. Viel eher leiten und begleiten
sie den Beschauer ins Bild und fordern ihn auf, in Klaus Kuglers
rätselhaft- und gedankenvolle Bild-Welten einzutreten.
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